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Burkah, sehr klein und schmal, geht dagegen entschlos-
sen voran und bleibt dann stehen. Sie macht eine Hand-
bewegung, als wolle sie ihre Gefährtinnen stützen, sie
ermutigen, aber sofort fährt ein Bartträger in Rock und
Turban grob dazwischen. Er trennt sie, stößt sie vorwärts
und zwingt sie, auf dem Boden niederzuknien. All das
geschieht unter den Augen einiger Männer, die den Platz
überqueren, Datteln essen, in der Nase bohren oder gäh-
nen, als ginge das Ganze sie gar nichts an. Nur ein Junge
im Hintergrund beobachtet die Gruppe mit einer gewis-
sen Neugier. Die Hinrichtung erfolgt rasch. Ohne Ver-
lesen eines Urteils, ohne Trommelwirbel, ohne Erschie-
ßungskommando, das heißt ohne Zeremoniell oder Fei-
erlichkeit. Kaum knien die drei Frauen auf dem Boden,
taucht aus dem Nirgendwo ihr Henker auf, ein weiterer
Bartträger in Rock und Turban, der ein Maschinenge-
wehr in der rechten Hand hält. Er trägt es wie eine Ein-
kaufstasche. Gelangweilt und gemächlich kommt er nä-
her wie einer, der ihm vertraute und vielleicht alltägliche
Gesten wiederholt, und geht auf die drei zu, die warten,
ohne sich zu rühren, und in ihrer Reglosigkeit gar kei-
ne menschlichen Wesen zu sein scheinen. Wie auf dem
Boden abgestellte Bündel sehen sie aus. Von hinten tritt
er an sie heran und schießt unvermittelt aus nächster
Nähe der Frau in der braunen Burkah in den Nacken.
Sie fällt nach vorn, ist sofort tot. Danach schlendert er
genauso gemächlich und gelangweilt einen Meter weiter
und schießt der Frau in der weißen Burkah in den Na-
cken. Sie fällt ebenfalls nach vorn, direkt aufs Gesicht.
Danach geht er wieder einen Meter weiter, zögert einen
102
Augenblick, er kratzt sich an den Genitalien. Langsam,
befriedigt. Dann schießt er der Frau in der grauen Bur-
kah in den Nacken, die nicht gleich nach vorne fällt wie
ihre Gefährtinnen, sondern noch einige Sekunden dort
kniet, regungslos. Hoch aufgerichtet. Stolz. Schließlich
kippt sie zur Seite und hebt in einer letzten Geste der Auf-
lehnung einen Zipfel der Burkah, sie entblößt ein Bein.
Der Mann deckt es jedoch ungerührt wieder zu und ruft
die Totengräber, die rasch die drei Leichen an den Knö-
cheln packen. Drei breite Blutspuren auf dem Asphalt
hinterlassend, schleppen sie sie fort wie Müllsäcke, und
auf dem Bildschirm erscheint der Außen- und Justizmi-
nister, Herr Wakil Motawakil. (Ja, ich habe mir seinen
Namen aufgeschrieben. Man weiß nie, welche Chancen
das Leben noch bietet. Eines Tages könnte ich ihm auf
einer menschenleeren Straße begegnen, und bevor ich
ihn töte, sollte ich vielleicht seine Identität überprüfen.
»Are you really Mister Wakil Motawakil?«)
Er ist ein dicker Kerl zwischen dreißig und vierzig,
Mister Wakil Motawakil. Sehr fett, mit fettem Turban,
fettem Bart, fettem Schnauzer und kreischender Ka-
stratenstimme. Als er über die drei Frauen spricht, froh-
lockt er. Bebt wie ein Wackelpudding und zwitschert:
»This is a very joyful day. Das ist ein freudiger Tag für
uns. Today we gave back peace and security to our city.
Heute haben wir unserer Stadt Frieden und Sicherheit zu-
rückgegeben.« Allerdings sagt er nicht, auf welche Wei-
se die drei Frauen den Frieden und die Sicherheit der
Stadt gefährdet hatten, für welches Vergehen oder Ver-
brechen sie verurteilt und hingerichtet wurden. Hatten
103
sie etwa die Burkah abgenommen, um auf die Toilette
zu gehen? Hatten sie etwa ihr Gesicht entblößt, um ein
Glas Wasser zu trinken? Oder hatten sie das Gesangsver-
bot missachtet und ihren Kindern ein Schlaflied vorge-
sungen? Womöglich hatten sie sich des schlimmsten al-
ler Verbrechen schuldig gemacht: lachen. (Ja: lachen. Ich
habe lachen gesagt. Wussten Sie nicht, dass die Frauen
im Afghanistan der Taliban nicht lachen dürfen, dass
es ihnen sogar verboten ist zu lachen?) Alle diese Fra-
gen bedrängen mich, bis Wakil Motawakil verschwin-
det und ich auf dem Bildschirm einen Salon voller junger
Mädchen ohne Burkah sehe. Hübsche Mädchen mit un-
bedeckten Gesichtern, bloßen Armen, ausgeschnittenen
Kleidern. Eine lacht voller Freude, frech. Eine lockt sich
die Haare, eine schminkt sich die Augen oder die Lip- [ Pobierz całość w formacie PDF ]
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Burkah, sehr klein und schmal, geht dagegen entschlos-
sen voran und bleibt dann stehen. Sie macht eine Hand-
bewegung, als wolle sie ihre Gefährtinnen stützen, sie
ermutigen, aber sofort fährt ein Bartträger in Rock und
Turban grob dazwischen. Er trennt sie, stößt sie vorwärts
und zwingt sie, auf dem Boden niederzuknien. All das
geschieht unter den Augen einiger Männer, die den Platz
überqueren, Datteln essen, in der Nase bohren oder gäh-
nen, als ginge das Ganze sie gar nichts an. Nur ein Junge
im Hintergrund beobachtet die Gruppe mit einer gewis-
sen Neugier. Die Hinrichtung erfolgt rasch. Ohne Ver-
lesen eines Urteils, ohne Trommelwirbel, ohne Erschie-
ßungskommando, das heißt ohne Zeremoniell oder Fei-
erlichkeit. Kaum knien die drei Frauen auf dem Boden,
taucht aus dem Nirgendwo ihr Henker auf, ein weiterer
Bartträger in Rock und Turban, der ein Maschinenge-
wehr in der rechten Hand hält. Er trägt es wie eine Ein-
kaufstasche. Gelangweilt und gemächlich kommt er nä-
her wie einer, der ihm vertraute und vielleicht alltägliche
Gesten wiederholt, und geht auf die drei zu, die warten,
ohne sich zu rühren, und in ihrer Reglosigkeit gar kei-
ne menschlichen Wesen zu sein scheinen. Wie auf dem
Boden abgestellte Bündel sehen sie aus. Von hinten tritt
er an sie heran und schießt unvermittelt aus nächster
Nähe der Frau in der braunen Burkah in den Nacken.
Sie fällt nach vorn, ist sofort tot. Danach schlendert er
genauso gemächlich und gelangweilt einen Meter weiter
und schießt der Frau in der weißen Burkah in den Na-
cken. Sie fällt ebenfalls nach vorn, direkt aufs Gesicht.
Danach geht er wieder einen Meter weiter, zögert einen
102
Augenblick, er kratzt sich an den Genitalien. Langsam,
befriedigt. Dann schießt er der Frau in der grauen Bur-
kah in den Nacken, die nicht gleich nach vorne fällt wie
ihre Gefährtinnen, sondern noch einige Sekunden dort
kniet, regungslos. Hoch aufgerichtet. Stolz. Schließlich
kippt sie zur Seite und hebt in einer letzten Geste der Auf-
lehnung einen Zipfel der Burkah, sie entblößt ein Bein.
Der Mann deckt es jedoch ungerührt wieder zu und ruft
die Totengräber, die rasch die drei Leichen an den Knö-
cheln packen. Drei breite Blutspuren auf dem Asphalt
hinterlassend, schleppen sie sie fort wie Müllsäcke, und
auf dem Bildschirm erscheint der Außen- und Justizmi-
nister, Herr Wakil Motawakil. (Ja, ich habe mir seinen
Namen aufgeschrieben. Man weiß nie, welche Chancen
das Leben noch bietet. Eines Tages könnte ich ihm auf
einer menschenleeren Straße begegnen, und bevor ich
ihn töte, sollte ich vielleicht seine Identität überprüfen.
»Are you really Mister Wakil Motawakil?«)
Er ist ein dicker Kerl zwischen dreißig und vierzig,
Mister Wakil Motawakil. Sehr fett, mit fettem Turban,
fettem Bart, fettem Schnauzer und kreischender Ka-
stratenstimme. Als er über die drei Frauen spricht, froh-
lockt er. Bebt wie ein Wackelpudding und zwitschert:
»This is a very joyful day. Das ist ein freudiger Tag für
uns. Today we gave back peace and security to our city.
Heute haben wir unserer Stadt Frieden und Sicherheit zu-
rückgegeben.« Allerdings sagt er nicht, auf welche Wei-
se die drei Frauen den Frieden und die Sicherheit der
Stadt gefährdet hatten, für welches Vergehen oder Ver-
brechen sie verurteilt und hingerichtet wurden. Hatten
103
sie etwa die Burkah abgenommen, um auf die Toilette
zu gehen? Hatten sie etwa ihr Gesicht entblößt, um ein
Glas Wasser zu trinken? Oder hatten sie das Gesangsver-
bot missachtet und ihren Kindern ein Schlaflied vorge-
sungen? Womöglich hatten sie sich des schlimmsten al-
ler Verbrechen schuldig gemacht: lachen. (Ja: lachen. Ich
habe lachen gesagt. Wussten Sie nicht, dass die Frauen
im Afghanistan der Taliban nicht lachen dürfen, dass
es ihnen sogar verboten ist zu lachen?) Alle diese Fra-
gen bedrängen mich, bis Wakil Motawakil verschwin-
det und ich auf dem Bildschirm einen Salon voller junger
Mädchen ohne Burkah sehe. Hübsche Mädchen mit un-
bedeckten Gesichtern, bloßen Armen, ausgeschnittenen
Kleidern. Eine lacht voller Freude, frech. Eine lockt sich
die Haare, eine schminkt sich die Augen oder die Lip- [ Pobierz całość w formacie PDF ]